Gegen das Vergessen: Das Herz wird nicht dement

Ist der Herd ausgeschaltet? Und wo war noch mal die Brille? Stellt man sich diese Fragen immer häufiger, steigt die Unsicherheit: Ist diese Vergesslichkeit normal? Oder sind das Vorboten von Demenz?

In Rankweil informieren die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen Bernadette Kronberger und Waltraud Walser von "Demenzfreundliches Rankweil" seit über zehn Jahren bei einem Informationsstand auf dem Rankler Wochenmarkt über alles, was von Demenz betroffene und betreuende Menschen wissen müssen. „Es kommen ganz unterschiedliche Menschen – manchmal einfach, weil sie unsere Gesichter kennen“, erklärt Bernadette, ehemalige Pflegeleiterin des Krankenpflegevereins Rankweil. „Wenn wir nur einer Person im Gespräch weiterhelfen können, dann hat sich der Einsatz gelohnt“, ergänzt sie.

Auch für Waltraud Walser ist der Standort am Rankller Wochenmarkt perfekt, um unkompliziert und direkt mit Marktbesucher*innen in Kontakt zu kommen: „Viele schauen zuerst mal schüchtern, was da für Broschüren so am Tisch liegen. Wir laden dann gerne zu Kaffee, Tee und Keksen ein. Spätestens dann fangen viele plötzlich von sich aus an zu erzählen. Wir bieten hier einen unverbindlichen Rahmen und unterliegen selbstverständlich der Schweigepflicht“, so Waltraud. Die ehemalige Altenpflegerin kam durch eine Bekannte zu dieser ehrenamtlichen Tätigkeit. „Hauptsächlich besuchen unseren Stand begleitende Angehörige oder Menschen, die eine Veränderung bei Nachbar*innen beobachten. Wir hören einfach zu, egal was uns gesagt wird“, erzählt sie und erinnert sich an ein ganz besonderes Erlebnis: „Einmal kam ein Mann zu unserem Stand, der  unterwegs zur St.-Peter-Kirche war. Wir haben ihm einen Kuchen eingepackt, den er auf dem Rückweg mitnehmen wollte. Leider kam er nie – er hatte ihn vergessen.“ 

Einen Arzt muss man bei einer gewissen Vergesslichkeit jedoch nicht gleich aufsuchen, sagt Bernadette: „Das menschliche Gehirn beginnt etwa ab dem 50. Lebensjahr zu schwächeln. Es ist normal, im Alltag ab und zu etwas zu verlegen oder zu vergessen. Doch wenn immer mehr Zettelchen am Kühlschrank hängen, ist das ein Warnzeichen. Für die betroffenen Menschen ist das ein enormer Stress, vor allem, wenn man alleine lebt. Am Anfang herrscht da oft eine große Wut und Ohnmacht.

Genetik und Lebensstil als Faktoren
Trotz deutlicher Symptome möchten viele Betroffene die Beschwerden nicht gleich abklären lassen. „Es gibt eine Verleugnungsphase, in der man schon Defizite bemerkt, diese aber überspielt“, weiß Michael Müller, Leiter der Gemeinwesenstelle Mitanand. „Zu diesem Zeitpunkt sind Angehörige und Freunde als außenstehende Beobachter gefragt, denn sie merken die Veränderung der Betroffenen als erstes.“ Dann ist es wichtig zu handeln. Eine Demenz kann man nicht stoppen, ihr Auftreten liegt zu etwa 60 Prozent in der genetischen Veranlagung. „Aber zu 40 Prozent können wir über den Lebensstil beeinflussen, wann man eine Demenz bekommt, wie schnell sie voranschreitet und wie deutlich sie ausgeprägt ist“, sagt Müller und ergänzt: „Für Angehörige ist es wichtig, die Betreuung von dementen Menschen nicht alleine zu schultern. Angehörige haben ein Recht auf Entlastung. Man muss sich selbst ganz bewusst Kraftquellen schaffen und darf das Auftanken nicht vergessen. Ein Auto, das nicht getankt ist, kann auch nicht fahren.

Das Herz wird nicht dement
„Wenn Mutter und Vater die eigenen Kinder nicht mehr erkennen, ist das sicherlich dramatisch. Doch wir vertreten die Auffassung, dass das Herz nicht dement wird – es ist immer noch etwas möglich“, sind sich Bernadette und Waltraud einig. Für die Zukunft wünschen sie sich, dass in der Gesellschaft noch viel offener mit diesem Thema umgegangen wird. „Demenzkranke stellen quasi der Gesellschaft eine Diagnose“, so Bernadette.  Michael Müller unterstreicht das anhand des Beispiels der Digitalisierung: „Überall wird alles nur noch digital angeboten. Doch es muss auch weiterhin Zonen geben, in denen man beispielsweise einen Erlagschein mit Kugelschreiber ausfüllen kann. Soziale Teilhabe heißt auch, ein Ticket am Schalter kaufen zu können. Ich bin zuversichtlich, dass wir als Gemeinschaft die immer größer werdende Gruppe an dementen Menschen mit etwas gutem Willen gut mitnehmen können.

Demenz-Stand am Wochenmarkt: Mi, 6. Dezember, 8 bis 12 Uhr

erstellt von Beatrix Spalt veröffentlicht 21.09.2023