Lebensmittel in der Nachkriegszeit

Die Rankweiler Zeitzeugengespräche erzählen von der Alltagskultur in der Nachkriegszeit: Wie die vielzitierten „kleinen Leute” ihren Alltag bewältigten. Die Geschichten sind persönlich und individuell, aber auch von allgemeiner Bedeutung. Die wichtigsten Fragen des Alltags drehten sich in den ersten Jahren nach 1945 um das Allernotwendigste.

Die Zeit nach 1945 bis 1955 kann auch als Übergang von der Markenwirtschaft zur Marktwirtschaft betrachtet werden. Ab Mai 1945 wurden neue Vorarlberger Lebensmittelkarten ausgegeben, die bis 1953 im Einsatz waren. Auf diesen Karten waren „Märkle”, die abgeschnitten oder gelocht wurden. Die Verteilung der kaum vorhandenen Grundnahrungsmittel war abgestuft nach Lebensalter und Gesundheitszustand. Die offizielle Tagesration für „Normalverbraucher” betrug: 250 Gramm Brot, 30 Gramm Grütze, 20 Gramm Fleisch, 7 Gramm Fett, 15 Gramm Zucker, 50 Gramm Kaffee-Ersatz und 40 Gramm Salz.

Der Zeitzeuge Karl Breuß (geb. 1927) war nach dem Krieg in der „Kartenstelle” der Gemeinde Rankweil beschäftigt: „Für alles und jedes hat es Karten gegeben, für Lebensmittel, für Tabak, für Bekleidung.” 

Irma Lampert (geb. Speckle, 1926) erzählt: „Brotmärkle hat man gehabt, und Märkle fürs Fett, Eier, Mehl, für alles hat es Märkle gegeben. ‚Auf Abschnitt 1 gibt es wieder ein Ei’, haben wir dann gesungen. Alles war kontrolliert.”

Im Unterschied zu den Städtern war die Landbevölkerung jedoch verhältnismäßig gut versorgt. Man hatte vielleicht einen eigenen Acker, einen Gemüse- und einen Obstgarten vor dem Haus, eigene Hühner und Ziegen. Die ganze Familie war an der Versorgung mit Nahrungsmitteln beteiligt. Manche Kinder halfen zusätzlich bei Bauern und erhielten dafür Eier oder Milch. Auf dem Speisezettel standen am Morgen Riebel und gebratene Erdäpfel am Abend, dazu Gartengemüse, Obst und Beeren. Selten gab es auch Fleisch.

Überlebensstrategien
In der Not wurden die Leute erfinderisch. Da es kein Schmalz und Öl gab, hat man Bucheckern gesammelt und in einer Ölmühle in der Schweiz gepresst, erzählt Walfried Morscher (geb. 1923): „Wir haben stundenweise ,Eckerle’ aufgelesen, bis wir 13 Kilo gehabt haben, und dann eine Flasche Öl dafür gekriegt.” Bereits im Frühjahr 1945 wurde die Reichsmark als Zahlungsmittel nicht mehr angenommen. So griff man zu Tauschwaren. Gesucht waren vor allem Bekleidung und Schuhe, aber auch Fahrräder und Nähmaschinen. Bei geringer
Versorgungslage kommt es zum Umdenken, zur Wertschätzung von Nachhaltigkeit: Reparieren statt Wegwerfen. Es entstanden neue „Ein-Mann-” oder „Ein-Frau-Betriebe” wie die „Kleidermacherin”, denn Maßanfertigung war billiger als die erst langsam anlaufende Konfektion. Wer eine Nähmaschine hatte, konnte selbst schneidern oder damit etwas dazu verdienen. Walfried Morscher erinnert sich an den Kauf einer Nähmaschine zum Preis von 110 Schilling. Dafür musste er einen Kredit aufnehmen und jeden Monat zehn Schilling abzahlen.

Zeitzeugin Irma Lampert: „Der Frauenbund hat Kurse gegeben und Vorträge. Gegründet wurde er von den Frauen Anna Linder-Knecht und Klothi Häusle. Das waren die Macher. Da hat man Kurse belegt: Nähkurse, Kochkurse, Backkurse, Hosenkurse; man hat alles selber gemacht, vor allem hat man früher aus Altem Neues gemacht, weil man keine neue Stoffe vermögen hat.”

Obst- und Gartenbauverein
Ein typisches Rankweiler Beispiel für das Schaffen von Ressourcen in Notzeiten ist der Obst- und Gartenbauverein, der im Jahr 1901 von Thomas Knecht gegründet wurde. Den Anfang machte der heute öffentlich zugängliche „Linders Garten” am Liebfrauenberg mit seltenen, alten Apfelsorten. Der Lehrer Thomas Knecht (1838-1918) unterrichtete dort in seinem „Schulgarten” die Obstbaumpflege und schenkte jedem Schulabgänger einen „Schulbaum”. Bald blühten im „Garten Vorarlbergs” alljährlich die Obstbäume. Die erste Baumzählung von 1938 ergab: „Mit 10.680 Apfelbäumen, 11.350 Birnbäumen und 2.480 Steinobstbäumen nahm Rankweil die fünfte Stelle im Land ein.” (Quelle: Festschrift „100 Jahre Obst- und Gartenbauverein Rankweil”, 2001).

Von diesem blühenden Schatz konnten die Rankweiler in den Nachkriegsjahren zehren. Im Mai 1950 nahm der Obst- und Gartenbauverein mit einem neuen Obmann, dem Volksschullehrer Anton Lampert (1921-2006), und 23 Mitgliedern seine Vereinstätigkeit wieder auf. Dank vieler gemeinschaftsfördernder Veranstaltungen und Reisen erhielt der Verein bald regen Zulauf. Toni Lampert und seine Frau Irma organisierten mit den Busunternehmen Nigg und Barbisch zahlreiche „Lehrfahrten”. Irma Lampert erinnert sich an die Jahre der Obmannschaft ihres Mannes von 1950 bis 1996: „Die Hauptaufgabe war die Organisation der Bustouren. Jährlich waren zehn bis zwölf Fahrten ausgeschrieben. Es gab Österreich-Rundfahrten, Exkursionen in die Schweiz, nach Deutschland, Holland, Italien. Alle Jahre gab es im Herbst eine Aktion, in der Bäume vermittelt wurden. Man konnte Bäume bestellen und wurde beraten, welche Sorte. Es gab Wettbewerbe im Blumenschmuck, Schnapsbrennen, Mostkurse, Mostverkostungen und Bewertungen zuerst im Gasthaus Schäfle und dann im Vinomnasaal. Am Schluss hatte der Verein über 4.000 Mitglieder. Vor allem die Frauen sind gerne mitgegangen. Viele Frauen haben im Krieg ihre Männer verloren, allein haben sie sich nicht auf den Weg getraut, und bei den Fahrten gab es eine Führung, darum war der Zulauf groß.”

erstellt von Stefanie Kollmann-Obwegeser veröffentlicht 20.10.2020, zuletzt geändert 09.09.2021