Karl Breuss, 91 Jahre alt

Das Zeitzeugengespräch mit Karl Breuss fand 2017 statt – ein mehrfaches Jubiläumsjahr für die Familie Breuss: Sie feierten sowohl seinen 90er und den 80er von Gattin Ilse als auch ihre Diamantene Hochzeit. Zudem hatte Karl Breuss 1957 seine Stelle als Standesbeamter im Gemeindedienst angetreten, die er 30 Jahre lang bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1987 ausfüllte.

Davor war er elf Jahre im Bauamt der Gemeinde tätig. Aus seiner Zeit im Bauamt ist Karl Breuss sein reges Sammlerinteresse an Fotografien und Dokumenten zur Geschichte und der baulichen Entwicklung von Rankweil geblieben.

Karl Breuss wurde im April 1927 in Rankweil geboren als Sohn von Johann Breuss und seiner Frau Maria, geb. Knecht, beides „alte Rankler Geschlechter“. Mit den Schwestern Luzia und Emma erlebte er eine sorgenfreie Kindheit in der „Hasagass“, heute Montfortstrasse 10.

Der Vater Johann Breuss war als Buchhalter bis zu deren Konkurs im Jahr 1932 bei der Firma Alemannia tätig. Danach war er bis 1938 arbeitslos und verdiente als „Winkeladvokat“ ein Zubrot. Karl Breuss erzählt: „Er hat Testamente gemacht, Mietverträge, Kaufverträge. Und von dem haben wir halt gelebt. Aber wir haben ein Haus gehabt, und einen Acker. Wir hatten ,Türka’, Kartoffeln, Hennen, Geißen, also wir sind über die Runden gekommen. Ich kann nicht sagen, ich habe eine schwierige Jugend gehabt, ich habe eine betreute, eine fröhliche Jugend gehabt.“

Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus
1933 wurde Karl Breuss in der Volksschule in Rankweil eingeschult, die teils in einem Gebäude der Stickerei Marte, der „Nebenschule“, untergebracht war. Aus der Zeit um 1938 hat Karl Breuss seine Schulhefte mit Aufsätzen aufbewahrt. Diese zeitgeschichtlichen Dokumente zeigen die Sicht eines 11-Jährigen auf die Tagesgeschehnisse und verdeutlichen die Einflussnahme der nationalsozialistischen Propaganda.

Der Aufsatz „Führers Geburtstag“ beschreibt folgenden Tagesablauf: „Am 20. April feierte unser Führer den 49. Geburtstag. Alle Schüler mussten sich um 8 Uhr früh bei der Schule versammeln, dann marschierte man gemeinsam in die Kirche, dort las man eine Messe. Dann marschierten wir wieder in Marte´s Stickerei. Dort hatte
Reichserziehungsminister Rust im Rundfunk eine Ansprache. Nachher ging man hinter das Schulhaus zur Flaggenhissung. Dann sang man noch das Deutschland-Lied und das Horst-Wessel-Lied. Zuletzt bekam noch jeder Schüler ein kleines Ostergeschenk.” Ein weiterer Aufsatz mit dem Titel „Ein freudiges Erlebnis“ beschreibt die Ereignisse am Tag der „Vereinigung mit Deutschland“ am 12. März 1938. Die Erinnerungen an diesen Tag sind für Karl Breuss auch heute noch präsent: „Als der Hitler einmarschiert ist, sind meine Eltern weg gewesen, der Vater war im Exerzitienhaus in Feldkirch, und die Mama bei einer Tante in der Schweiz, wir Kinder alleine und überall ist es närrisch geworden, die Leute auf der Straße. Dann sind die Flugzeuge gekommen, die deutschen Geschwader. Da sind mitunter 50, 60 Flugzeuge nacheinander im Geschwader darüber geflogen, Richtung Tirol vermutlich und das ist für uns beeindruckend gewesen.“

Die letzten Schuljahre erlebte Karl Breuss unter dem Eindruck der Kriegsereignisse. Jeden Morgen habe es statt dem Morgengebet Kriegsberichte gegeben: „Wie viele deutsche U-Boote wieder englische Kriegsschiffe in deren Hafen versenkt haben.“

Danach besuchte Karl Breuss die Handelsschule in Feldkirch. Der Unterricht war jedoch sehr eingeschränkt, erzählt er, da immer mehr Lehrpersonen kriegsbedingt ausfielen. Mit 16 Jahren begann er als „Kriegsaushilfsangestellter“ im Landratsamt in Feldkirch, der heutigen Bezirkshauptmannschaft, zu arbeiten und übernahm die Agenden Wirtschaft, wo er unter anderem zuständig war für die Bezugsscheine von Öl, Petroleum und Seife für Feldkirch und Dornbirn.

Mit 17 Jahren musste sich Karl Breuss als Parteimitglied einschreiben: „Wir haben alle eine Vorladung gekriegt, am Soundsovielten im Löwensaal sei die Übernahme der Hitlerjugend in die NSDAP. Erscheinen Pflicht. Wir sind unten im Saal gewesen und auf der Bühne war immer ein Vertreter einer Nationalsozialistischen Bewegung. Das waren die SA, Sturmabteilung, die SS und die NSKK, der Nationalsozialistische Kraftfahrerkorps. Jeder hat eine Ansprache gehalten und Werbung gemacht, dass man zu seiner Organisation geht. Jedenfalls hab ich mir gedacht, da tu ich nirgends unterschreiben. Aber im Löwensaal sind zwei Ausgänge gewesen, und dort ist man nicht hinaus gekommen, ohne zu unterschreiben, dass man Parteimitglied wird. Also das ist wirklich unter Zwang gewesen.“

Der Kriegseinsatz ist Karl Breuss erspart geblieben, weil er als „unabkömmlich“ eingestuft wurde, erzählt er: „Anno `44 hat ,Goebbels’ den totalen Krieg verlangt und ein Viertel der Bediensteten in der Verwaltung wurde in die Rüstung geschickt. Ich bin damals in den Rüstungsbetrieb ,Kürbi und Niggeloh’ in Rankweil gekommen, und wir haben dort Granaten zur Flugzeugabwehr, Flakgranaten, gebaut. Dann bin ich zur Versuchsmannschaft gekommen, wo man mich scheinbar hat brauchen können, weil ich dann unabkömmlich war, also musste ich nicht einrücken.“

Das Kriegsende in Rankweil
Am Tage des Einmarschs der Franzosen hat man ihn nachts aus dem Bett geholt, erzählt Karl Breuss: „Der ,Branner’, ein Widerstandskämpfer, hat zum Schutz von Gebäuden Burschen gesucht. Wir haben Tarnjacken gekriegt, Mützen, Proviant und ein Gewehr, dann haben wir den Löwen, die Rohstoff und das alte Rathaus bei der Ringstraße beschützen müssen. Der Amann Peppi, der Kessler Harald und ich haben das Rathaus bewacht. Jakob Marte saß beim Funkgerät und meldete uns um drei Uhr früh, dass wir gehen können, denn die Franzosen seien schon in Mäder. Auf dem Weg nach Hause sahen wir, dass der Himmel Richtung Götzis rot war, einige Häuser haben dort gebrannt. Ich wollte mit den Eltern dann nach Übersaxen, aber sie haben abgelehnt, weil sie das Haus nicht verlassen wollten. Aber es hat überall gekracht. Am Morgen um Sieben hat es einen unheimlichen Krach gemacht. Sogar ein Lampenschirm ist heruntergefallen auf den Tisch. Da hat man die ,Sulner Brücke’ gesprengt. Und am anderen Tag ist die halbe Brücke unten gelegen im Frutzbett.“

Nach Kriegsende war Karl Breuss dann kurze Zeit arbeitslos, erhielt aber bald darauf eine Anstellung bei der Gemeinde Rankweil, zunächst in der „Kartenstelle“: „Lebensmittelkarten für alles und jedes, für Raucher, Bekleidung, für alles hat es Karten gegeben.“
Weil aber nach und nach die „Kriegsheimkehrer“ zu ihren Posten zurückkehrten, war auch diese Anstellung nur begrenzt und Karl Breuss hätte bald wieder auf Arbeitssuche gehen müssen, wenn sich nicht im Bauamt bei Gemeindebauleiter Jakob Marte wieder ein neues Tätigkeitsfeld eröffnet hätte.

Vom Bauamt zum Standesamt
Die elf Jahre im „Außen- und Innendienst“ des Bauamtes erlebte Karl Breuss als sehr interessant. Da er so auch viel mit Bauplänen und „Bauleuten“ zu tun hatte, konnte er sich bald nicht weit entfernt von seinem Elternhaus mit Unterstützung von Jakob Marte ein eigenes Haus bauen. Die Bauplätze waren damals noch sehr günstig: „Den Bauplatz hab ich können mit meinem Motorrad zahlen“, erzählt Karl Breuss. Gebaut wurde „unter vielen Hindernissen, denn da hast Du ja keinen Nagel, keine Schraube, keinen Hammer nichts ohne Bezugsschein gekriegt. Aber es ist gegangen.“

Als die Stelle eines Standesbeamten frei wurde, war Karl Breuss noch nicht einmal 27 Jahre alt und hielt sich selbst zunächst für zu jung: „Früher hat man sich unter einem Standesbeamten einen älteren Herrn vorgestellt, eine eher seriöse Persönlichkeit eigentlich.“ Aber der Bürgermeister August Fröhlich ermutigte ihn, sich doch zu bewerben. Zu Beginn half der vorige, in Pension gegangene Standesbeamte Thomas Knecht, ein Onkel mütterlicherseits und „Firmgötti“, da Karl Breuss nebenbei auch noch im Bauamt weiter aushelfen musste. An die erste Trauung, die er alleine gemacht hat, kann sich Karl Breuss noch gut erinnern: „Ich habe dann einen Kurs gemacht, eine Woche lang beim Standesamt in Feldkirch. Dann hab ich halt – wie wenn man einen ins Wasser wirft – müssen diese Trauung durchführen. Da sind mir das erste Mal die Knie eingekippt, so aufgeregt bin ich gewesen.“

In den 30 Jahren im Standesamt führte Karl Breuss danach ungefähr 2.500 Trauungen durch. Seine gute Gesundheit verdankt er seinen vielen sportlichen Hobbys wie Radfahren, Wandern und Schifahren. Als Leichtathlet war er bei den „Turnern“, war Fußballer und beim Schiverein.

„So ist er mir nie im Weg gewesen“, lacht Ilse Breuss. Das Paar führt nun seit mehr als 60 Jahren eine glückliche Ehe und hat zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter, sowie vier Enkelsöhne.

 

erstellt von andrea.mairhofer@rankweil.at veröffentlicht 23.08.2019