Hilde Schennach, 90 Jahre

Hilde Schennach, früher Hilda Maria Rothmund, wurde am 17. September 1927 in Rankweil geboren. Im Zeitzeugengespräch mit Gemeindearchivar Norbert Schnetzer und Historikerin Margarete Zink erzählt Hilde ihre Lebensgeschichte.

Hildes Eltern kamen damals, unabhängig voneinander, auf Arbeitssuche nach Vorarlberg. Ihr Vater, der Schwabe Bernhard Rothmund, fand Arbeit als Krankenpfleger in der damaligen Irrenanstalt Valduna. Ihre Mutter, die Salzburgerin Theresia Wießmüller, arbeitete in den Gasthäusern „Hoher Freschen“, „Hörnlingen“ und dem „Kreuz“ als Haushaltshilfe und Kellnerin. 

Kindheitserinnerungen
Das Geburtshaus von Hilde Schennach ist das so genannte „Peschle-Michl-Hus“ in der Ringstraße, in welchem die Mutter ein Zimmer bei der Rankweilerin
Alma Ludescher hatte. Nach der Hochzeit fand die junge Familie im Elternhaus von Oskar, Pepi und Olga Schwarzmann eine Wohnmöglichkeit. Die Familie Rothmund wuchs allmählich auf drei Kinder an und auch Schwarzmanns Pepi wollte mit seiner Braut Luise eine Familie gründen und so musste sich Familie Rothmund notgedrungen um eine neue Bleibe umsehen. Im Gasthaus Ochsen (Anm.: beim Waldfriedhof), das zu zwei Wohnungen umfunktioniert wurde, kamen sie für zwei Jahre unter, bis sie im Gesindehaus der Stickerei von German Rauch (Anm.: heute Vereinshaus) für sechs Jahre ein Zuhause fanden.
Bernhard Rothmund hatte sich als Krankenpfleger durch Kurse weitergebildet und wurde nach der Pensionierung des damaligen Oberpflegers zu dessen
Nachfolger ernannt. Mit der inzwischen auf vier Kinder angewachsenen Familie wechselten die „Rothmunds“ in eine Dienstwohnung der Anstalt. Diese sei
zwar „schön und gepflegt“ gewesen, erinnert sie sich, aber für die Kinder habe es einen weiteren Schulweg bedeutet.

Gesundheitliche Risiken
Als die Irrenanstalt 1941 einem Reservelazarett weichen musste, in dem anfangs an Tuberkulose erkrankte Soldaten einquartiert wurden, war das für die inzwischen sechs Kinder ein zu großes gesundheitliches Risiko. Die Anstalt hatte aber zur Eigenversorgung mit Lebensmitteln einen Stall und ein Wohngebäude für Knechte und Mägde in der Hinterletze. Dieser „Valdunastall“ wurde aufgestockt, um Büroräume und Wohnungen zu schaffen. Dort wohnte dann die Familie Rothmund mit den Kindern in Untermiete noch mehrere Jahre, bis sie 1958 in Brederis das eigene Haus beziehen konnten.

Leben in Kriegszeiten
Hilde Rothmund besuchte in Rankweil die „achtklassige“ Volksschule und dann in Feldkirch die zwei Jahre dauernde Handelsschule, damals „kaufmännische Wirtschaftsschule“. Nach der Schulzeit fand sie eine Stelle als Sekretärin bei der Eisen- und Metallgießerei Ernst Franke in Rankweil, von der sie im Dezember 1944 zum RAD (Reichsarbeitsdienst) nach Golling-Abtenau in Salzburg einberufen wurde, wo sie beim „Hiasenbauern“ und
beim „Äpfelkochbauern“ sowohl im Stall als auch im Haushalt mitarbeiten musste. Den Rest der Zeit verbrachten die „Maiden“ gemeinsam im Lager.
Ende März 1945 wurde das RAD-Lager geräumt. Ein Teil der Mädchen wurde nach Hause entlassen, die anderen kamen nach Salzburg und wurden als Fahrdienstpersonal bei Bahn und Bus eingesetzt. Hilde kam zum Kriegsdiensteinsatz nach Wattens in Tirol, wo sie im „kriegswichtigen Betrieb“ von Daniel Swarovski zum Linsenschleifen für Ferngläser eingesetzt wurde. Als sich das Gerücht verbreitete, Vorarlberg sei Kriegsgebiet, wurde sie mit der „Löhnung“ und Lebensmittelkarten in die Heimat entlassen.

Gefährliche Situation
Weil in der Hinterletze eine Panzersperre errichtet wurde, die notfalls gesprengt werden sollte, sahen sich Bernhard und Resi Rothmund gezwungen, die Kinder aus der Gefahrenzone zu bringen. Also schickten sie Hilde mit den sechs Geschwistern nach Furx zu einem Älpler namens Fritsche, der dort die der Valduna gehörende Alpwirtschaft und ein Haus bewohnte, das auch Feriengäste aufnehmen konnte. In den zehn Tagen, in denen sie dort wohnten, besorgten die größeren Brüder die Broteinkäufe in Laterns. Einmal kam eine Gruppe Marokkaner nach Furx, um nach versteckten deutschen Soldaten zu suchen. Ansonsten überstand die Familie die Kriegsereignisse unbeschadet.

Die Not der Nachkriegszeit
Nach Kriegsende begannen die großen Probleme für die Familie. Eine Rückkehr in den Betrieb, in dem sie vor dem Krieg gearbeitet hatte, war nicht möglich, erzählt Hilde Schennach: „Denn Ernst Franke war Deutscher und somit ein Ausländer, und deutsches Eigentum wurde konfisziert, eine andere Bürostelle fand sie als ‚Ausländerin‘ nicht.“
Als Schwabe war auch ihr Vater Bernhard Rothmund über Nacht ein Ausländer und wurde 1945 ausgewiesen, nach einer anonymen Diffamierung bei der Führung der französischen Besatzung, und wie Hilde Schennach betont: „Obwohl er sich in keiner Weise irgendetwas zu Schulden hatte kommen lassen“. Innerhalb von 24 Stunden musste er die schwangere Frau und sieben Kinder verlassen. Alle Ersparnisse von Ausländern wurden zudem eingefroren. Die Familie stand also plötzlich völlig mittellos da. In dieser Zeit mussten die beiden Töchter für den Unterhalt der Familie sorgen, vor allem Hilde, denn alle anderen Kinder waren noch schulpflichtig oder in Ausbildung.
Hilde Schennach erinnert sich dankbar an die Frau von Bäckermeister Ambrosius Tschütscher (Bäck Brosi), die ihnen unter die Arme griff und sie mit Kartoffelspenden unterstützte. Auch der damalige Bürgermeister August Fröhlich war ein „sozial eingestellter Mann“. Er ließ nach dem Krieg im Weitried ein großes Feld umackern und Kartoffeln stecken. Kinderreiche Familien, die keinen eigenen Grund hatten, durften pro Person eine „Zilata“ (Zeile) pflegen, häufeln und jäten und dann auch ernten. Dadurch hatte die Familie über den Winter zumindest Kartoffeln zu essen.
Schließlich fand Hilde Schennach Arbeit in der „Uniformschneiderei“, später wurde daraus die Berufskleiderfabrik Malin, wo sie von 1945 bis 1949 im Akkord Uniformhemden nähte, doch das verdiente Geld reichte nicht für den Lebensunterhalt der großen Familie.

Strohschuhe aus Maiskolben
Schwester Erna war bei Kriegsende noch im Pflichtjahr beim Schreiner Abbrederis, danach arbeitete sie bei „Frau Grinseisen“, die in der Totengasse Strohschuhe herstellte. „Die schönen, weißen Blätter der Kolben wurden im Wasser eingeweicht und dadurch weich gemacht. Anschließend wurden sie fest gezopft und diese Zöpfchen wurden in der entsprechenden Schuhgröße auf Karton genäht. So entstanden dann schöne Schuhe, die man ohne Bezugsschein kaufen konnte. Und am Abend haben wir aus Stoff noch so Jerusalemlatschen gemacht, so haben wir Geld verdient, tagsüber und bis tief in die Nacht, um über die Runden zu kommen“, erinnert sich Frau Schennach an diese arbeitsintensive und sorgenvolle Zeit.
Denn immer stand das „Damoklesschwert“ der Ausweisung der gesamten Familie im Raum. Theresia Rothmund wurde massiv unter Druck gesetzt, sich
vom deutschen Mann zu trennen, um mit den Kindern in Österreich bleiben zu dürfen. Um der Familie nahe sein und sie finanziell unterstützen zu können,
gelang es Bernhard Rothmund, nachts illegal über die grüne Grenze nach Vorarlberg einzureisen. „Was sich wie ein nächtlicher Ausflug anhört, war in Wirklichkeit ein lebensgefährliches Unternehmen für Helfer und Vater“, erinnert sich Hilde Schennach heute noch an diese schlimme Zeit: „Wollte er nicht gleich wieder ausgewiesen werden, musste er sich versteckt halten.“ Er arbeitete beim Bau des Silvretta-Staudamms auf der Vallüla als „Chefkoch in der Abwaschküche“ und kam nur am Wochenende bei Dunkelheit zu seiner Familie nach Rankweil.

Es war eine sehr gefahrvolle und nervenaufreibende Zeit, musste er doch stets darauf achten, im Zug bei der Fahrt nach Hause nicht gesehen bzw. kontrolliert zu werden. Bürgermeister und Gemeinderäte von Rankweil befürworteten schließlich die Verleihung der Staatsbürgerschaft an Bernhard Rothmund, da sie ihn „als rechtschaffenen, praktizierenden Katholiken“ kannten und so konnte er 1948, drei Jahre nach der Ausweisung, offiziell zu seiner Frau und den acht Kindern zurückkehren.

erstellt von Stefanie Kollmann-Obwegeser veröffentlicht 17.07.2018, zuletzt geändert 23.07.2019