Helmut Wetzel, 78 Jahre

Der “Sternawirt” Helmut Wetzel ist bekannt als ein Mensch mit festen Gewohnheiten und Prinzipien. Geboren wurde er am 1. August 1940 in eine ursprünglich schwäbische Wirts- und Bierbrauerfamilie. Vermutlich schon Ende 17. Jahrhundert zogen seine Vorväter als Bierbrauer auf Wanderschaft durch die Lande.

Der Urgroßvater stammte aus Saulgau in Baden-Württemberg, der Großvater ist in Wien geboren, seine Geschwister in Budapest und in Senftenberg, Nordböhmen. Später zog die Familie dann wieder zurück nach Wien. Der Großvater ging weiter als Bierbrauer auf Wanderschaft und kam irgendwann über Umwege nach Dornbirn, war in der Mohrenbrauerei in Dornbirn von 1882 bis 1898 Braumeister, kurz noch in der Brauerei Forst in Meran und ließ sich dann 1899 in Rankweil nieder. Seither führen die Wetzels den Gasthof Sternbräu: Helmut in der dritten, sein Sohn in der vierten und die Enkelkinder in der fünften Generation. Helmut Wetzel ist der Jüngste von fünf Geschwistern, drei Buben und zwei Mädchen.

Mit fünfzehn Jahren machte er eine Lehre als „Hotel- und Gaststättengehilfe“ und ging danach einige Winter auf Saisonarbeit, um für kurze Zeit der Enge „zwischen den Büheln“ von Rankweil zu entkommen. Auch in St. Anton am Arlberg habe er gearbeitet und die „Oberen Zehntausend“ bedient. Man habe ja nicht gewusst, wen man da bedient, er habe keinen Fernseher gehabt und auch nicht Zeitung gelesen. „So wie beim Sternen habe ich nie einen Unterschied gemacht, ob das ein Doktor ist oder ein Hofrat oder ein Hilfsarbeiter. Beide zahlen gleich viel und wer sich nicht aufführen kann, bleibt draußen.“ Im Jahr 1960 ging er ein paar Monate nach England, 1962 nach Amerika wieder nur für ein paar Monate, denn dann wurde er als Greencard-Besitzer zur Musterung für das amerikanische Militär einberufen. Um dem zu entgehen, kehrte er fluchtartig nach Österreich zurück.

Tourismus
In den 1950er und 1960er Jahren kamen vor allem Holländer, Deutsche und Franzosen, aber auch relativ viele Engländer. Früher mussten alle mit dem Zug oder Bus reisen, auch von England kamen die Gäste mit dem Bus. Kleinunternehmer wie der „Barbisch Omnibus“ haben dann Tagesausflüge organisiert: Nach Zürich, Lugano, Luzern, München oder Innsbruck. „Wir hatten bis zu 40 Betten und Zimmer mit Fließwasser. Das war damals schon ein Luxus.“ Doch der Tourismus spielte sich ausschließlich im Sommer ab. Dann, wenn der Gastgarten voller Menschen war und straßenseitig der Verkehr rauschte. „Der Lärm störte die Übernachtungsgäste. Da hat sich das mit der Zimmervermietung rasch von selbst erledigt.“

Zweiter Weltkrieg
„Als Kind habe ich die Bombardierung von Friedrichshafen miterlebt. Wir waren im zweiten Stock unseres Hauses in Rankweil, der Himmel war brandrot – obwohl Friedrichshafen rund 90 Kilometer entfernt liegt. Man hat die Druckwellen körperlich gespürt, in den Fenstern haben die Scheiben geklimpert und man hat die Bomben gehört. Und jetzt muss man sich vorstellen, man ist mitten drinnen in diesem Bombenhagel. Das muss furchtbar sein. Mir wurde berichtet, dass Kinder, welche das miterleben mussten, noch als Erwachsene mindestens alle 14 Tage schweißgebadet aufwachen, schreiend, über 50 Jahre danach. Um diese Traumas hat sich niemand gekümmert.“ Helmut Wetzel war damals ein Kleinkind, aber an diese Nacht im April 1944 kann er sich deutlich erinnern.

Während und nach dem Krieg gab es keine Zutaten mehr, um Bier zu brauen. Er habe noch Schriftstücke von der Stadlauer Malzfabrik, in welchen steht, dass man nicht mehr liefern könne, weil die russische Armee alles beschlagnahmt habe. Das erste Bier wurde erst wieder Ende 1947 gemacht. „Malz gab es immer noch zu wenig, daher wurden Runkeln und Zuckerrüben reingeschnitten, um das Bier stärker zu machen und ein bisschen mehr Alkohol zu bekommen. Heute würde dieses Gebräu niemand mehr trinken.“ Auch in Rankweil wurde beschlagnahmt: „Aber nicht von den Franzosen sondern noch davor, vom heimischen Regime. Wir brauchen die Kohle dort und dort, oder, kriegst dann einmal was dafür, gekriegt hast du heute noch nichts. So wie uns der PKW verschwunden, halt eingezogen worden ist, das Ross, das wir gehabt haben, ist kriegsdienstverpflichtet worden, die ganzen Mitarbeiter haben einrücken müssen.“ Zwei polnische Zwangsarbeiter und Maruschka, eine Zwangsarbeiterin aus der Ukraine, übernahmen die Arbeit. Zwischen 1943 bis 1945 half Maruschka der Mutter als Hausmädchen und kümmerte sich auch den Jüngsten.

Nachkriegszeit
Vom 2. auf 3. Mai 1945 hat noch die deutsche Wehrmacht im Sternen geschlafen, erzählt Helmut Wetzel.
Schon eine Nacht später hat dann die französische Armee hier logiert. Das Gasthaus wurde zugesperrt und wandelte sich bis 1946 zur Herberge für ausgebombte Flüchtlinge aus der heutigen Bundesrepublik Deutschland sowie für zwei französische Offiziere und sechs Marokkaner. Im Hof wurde eine „Feldküche“ eingerichtet für die Besatzungssoldaten. „Du mußt dir vorstellen, 1953 sind alleine im ehemaligen Gasthaus Ochsen 32 Menschen gemeldet gewesen. Und so ist es in vielen Häusern gewesen, zum Beispiel die drei Häuser, die abgebrannt sind. Barbischs sind drinnen gewesen, fünf Leute in einem kleinen Haus. Irgangs – Josef und der Albert – sind auch etwa zwölf oder vierzehn gewesen. Und die Kinder natürlich, die Ältesten vielleicht Jahrgang ‘30, und die anderen halt alle so Jahrgang ‘30 ‘33 ‘37 und ‘38. Und dann hat man da draußen gekocht für 150 Mann und die „Gofa“ sind alle am Kartoffeln schälen gewesen für die Franzosen.“

Schwimmbad
Das Schwimmbad beim Gasthaus wurde 1886 von Peter Lutz, dem Vorgänger der Familie Wetzel, erbaut und verfügte über ein 20 mal 10 Meter großes und 2,3 Meter tiefes Becken, das von der Nafla gespeist wurde. Während des Krieges wurde ein Teil zerstört, aber die „Franzosen“ holten Arbeiter aus dem früheren RAD-Lager in Brederis. „Nazi-Größen, die da eingesperrt waren. Inhaftierte Direktoren aus kriegsrelevanten Fabriken haben heraufkommen und Wände abputzen müssen, sauber machen und zementieren.“ 1946 haben die Franzosen das Schwimmbad wieder eröffnet, zuerst nur für den eigenen Bedarf, dann für die Öffentlichkeit. Bis 1953 war es in Betrieb. Bis die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch die Nutzung des Nafla-Wassers untersagte, erzählt Helmut Wetzel. „Wir haben dann einen Sommer lang Leitungswasser verwendet. Da ist 24 Stunden der Schlauch gelaufen, um das Bassin zu füllen. Und die Temperatur war 12 Grad höchstens.“

Zwischen 1900 und 1983 hat die Familie Wetzel im Sternen selbst Bier gebraut. Helmut Wetzel macht aber noch von Zeit zu Zeit einen „Brautag“, an dem mit der Sudpfanne Bier „gesotten“ wird. Denn er brauche einfach den „Geschmack in der Nase“ und das Gefühl, „es noch zu können“.

erstellt von andrea.mairhofer@rankweil.at veröffentlicht 16.09.2019